Der Entscheidung, für eine Schule die Verantwortung zu übernehmen, geht in der Regel ein intensiver Prüfprozess voraus. Wird es mir gelingen, die vielfältigen Herausforderungen anzunehmen? Werde ich allen Schüler*innen, dem gesamten Kollegium, der Elternschaft sowie der Schulaufsicht gerecht werden können?
Sind innere wie äußere Prüfung bestanden, existieren bei Dienstantritt meist doch noch Unsicherheiten. Wie umgehe ich Anfängerfallen? Wie starte ich erfolgreich? Was ist wichtig zu beachten? Ich möchte schließlich alles richtig machen!
Alles richtig zu machen ist schwer, vielleicht sogar unmöglich. Fünf Erfahrungswerte, die einen gelungenen Start als Schulleiter*in ermöglichen, möchte ich hier weitergeben.
Erfahrungswert 1: Schauen, wer da ist
Wenn wir neu als Schulleiter*in an der uns anvertrauten Schule auftreten, sind die Augen des gesamten Kollegiums auf uns gerichtet. Meistens empfangen wir neugierige, manchmal erwartungsvolle, zuweilen unsichere oder gar skeptische Blicke.
Hier gilt es, unsere Wahrnehmung auf die Lehrerpersönlichkeiten dahinter zu schärfen, gut zuzuhören und zu begreifen, wer da ist. Wer kann mit wem gut zusammenarbeiten? Gibt es Grüppchen? Wer gibt den Ton an? Wer unterrichtet schon lange an der Schule? Wer hat die Schulkultur mitgeprägt? Wer fühlt sich selbst noch neu an der Schule?
Alle wollen von uns gesehen werden, und es ist wichtig, dass wir nach und nach jeden Einzelnen bewusst, vor allem mit dessen individuellen Stärken, wahrnehmen. Das kostet Zeit. Nach intensiver Beobachtung können wir dem Kollegium dann jedoch besser gerecht werden und die Führung langsam und sicher übernehmen, auch gegenüber den "Alleswissern" und "Langzeit-Erfahrenen".
Erfahrungswert 2: Würdigen, wie bereits gute Schule gelebt wird
Jede Schule ist anders. Jede Schule hat über Jahre Qualitäten hervorgebracht, im Unterricht, in der Schulkultur oder Schulentwicklung. Diese Besonderheiten aufzuspüren und auf Konferenzen, Dienstbesprechungen und in Einzelgesprächen zu würdigen, ist unsere Basisarbeit.
Als Schulleitung müssen wir wissen, wie die uns anvertraute Schule "tickt", welche Elemente erfolgreich sind und erhalten bleiben müssen, weil Schüler*innen, Eltern und das Kollegium stolz auf sie sind. Erst wenn wir die Tradition und besondere Stärke der Schule "begriffen" haben, sind wir "angekommen" und können sie "passgenau" (weiter-) führen.
Erfahrungswert 3: Wenig verändern
Gerade am Anfang, wenn wir die Schulleitung übernommen haben, strotzen wir häufig vor Innovationskraft. Wie haben Ideen über Ideen, wie wir Schule gestalten möchten. Aber nicht alles passt zur Schultradition, zum Schulprofil oder zu den Akteuren!
Hier ist unser Augenmaß gefragt, um auf die richtigen Innovationen für diese Schule zu setzen bzw. nur den Teil einer Modernisierung oder eines Reformvorhabens (des Kultusministeriums) umzusetzen, der anschlussfähig ist. Manchmal ist dann tatsächlich weniger mehr!
Erfahrungswert 4: Tragfähige Beziehungen aufbauen
Größere bzw. längerfristige Veränderungen lassen sich in der Schule nur verwirklichen, wenn das Kollegium Vertrauen zur Leitung entwickelt und bereit ist, vertrauensvoll zusammenzuarbeiten. Hierfür gilt es, eine Vertrauenskultur aufzubauen, was wohlüberlegter Maßnahmen bedarf. Schließlich hat jedes Mitglied des Kollegiums jederzeit die Möglichkeit, (innerlich) auszusteigen, die Klassenzimmertür zu schließen und "das eigene Ding zu machen".
Die Planung gemeinsamer schulischer Projekte, des gezielten pädagogischen Austauschs oder außerschulischer Aktivitäten auf Basis freiwilliger Teilnahme können hierfür genauso wichtig sein wie Gespräche mit einzelnen Kolleg*innen, die Respekt, Wertschätzung und Unterstützung signalisieren.
Erfahrungswert 5: Mehr und mehr Führungspersönlichkeit werden
An Tag 1 im Amt sind wir genauso wenig wie an Tag X im Amt eine fertige Führungspersönlichkeit.
Authentisch eine Schule zu leiten und ein anerkanntes Vorbild zu werden verlangt von uns kontinuierliche Selbstreflexion und systemische Überlegungen im Hinblick auf die konkreten Akteure und Bedingungen der uns anvertrauten Schule.
Dafür ist es wichtig, möglichst häufig das eigene Büro zu verlassen, mit offenen Augen und Ohren durch die Schule zu gehen, sich im Lehrerzimmer aufzuhalten, selbst Kernarbeit zu leisten und viele Gespräche zu führen. In kleineren Systemen ist es möglich, jede*n Schüler*in zu kennen, in größeren können wir eng mit der Schülervertretung zusammenarbeiten. In jedem Fall sollten wir mit denjenigen Schüler*innen vertraut sein, die das Kollegium besonders (aus welchem Grund auch immer) beschäftigen.
Um die eigenen Kompetenzen zur Konfliktlösung, Unterrichtsberatung oder zur Lösung kniffliger Verwaltungsaufgaben zu erweitern, kann neben Fortbildungsveranstaltungen eine Kollegiale Beratungsgruppe hilfreich sein.
"Keep calm and carry on"
Am Anfang, wenn alles auf einmal klappen soll, scheint es schwierig, die fünf Erfahrungswerte umzusetzen, denn dafür brauchen wir Zeit. Wir dürfen uns diese Zeit nehmen und wir dürfen Fehler machen. Auch das ist ein Erfahrungswert. Glauben Sie mir!
Entscheidend ist nicht, alles richtig zu machen. Frei nach dem Slogan "Keep calm and carry on", bleiben Sie ruhig und fangen Sie an!