Wenn Sie Lehrer*in sind, lade ich Sie in diesem Blog ein, sich vorzustellen, Sie hätten eine Gruppe aus Kollegen*Kolleginnen, denen Sie vertrauen können. Ihr Vertrauen reicht sogar so weit, dass Sie ihnen eine Auseinandersetzung mit einem Schüler über nicht erledigte Hausaufgaben erzählen können, in der Sie laut geworden sind und außerdem "verloren" haben, weil der Schüler nun erst recht keine Hausaufgaben macht und sich inzwischen die Eltern über Sie bei der Schulleitung beschweren. Sie könnten auch berichten, wie schwer Ihnen das Unterrichten in einer bestimmten Klasse fällt oder wie unwohl Sie sich vor einem ganz bestimmten Elternabend fühlen. Sie könnten sogar darüber sprechen, dass es Situationen gibt, in denen Sie an sich zweifeln.
Stellen Sie sich bitte weiter vor, dass die Gruppe Ihnen zuhört, dass die Einzelnen Sie wirklich verstehen und Ihr Interesse an einer Lösung für Ihr Problem teilen, weil die Gruppenmitglieder selbst von diesen Lösungen in ihrem Schulalltag profitieren können. Zudem dürfen Sie sich diese Win-Win-Situation in einer angenehm freundlichen Atmosphäre ausmalen. Atmosphärisch ist sie sogar vergleichbar mit einem Gespräch im Freundeskreis, aber inhaltlich deutlich deshalb verschieden, weil in dieser Gruppe der Kollegen*Kolleginnen gemeinsam eine konkrete, praxistaugliche Lösung erarbeitet werden kann, die für Sie schon am nächsten Schultag umsetzbar ist.
Wenn Sie Schulleiter*in sind, sind Sie herzlich eingeladen, sich vorzustellen, wie dank der Einführung Kollegialer Beratung an Ihrer Schule die Problemlösekompetenz und der Zusammenhalt im Kollegium gestärkt werden. Wäre das nicht ein wirkungsvoller Beitrag zur Professionalisierung des Kollegiums? Für Sie selbst kann eine kollegiale Beratungsgruppe, zusammengesetzt aus Schulleitungskollegen*-kolleginnen verschiedener Schulen, ebenfalls bereichernd sein und entlastend wirken.
"Es ist leichter, für andere weise zu sein als für sich selbst"
Dieses Zitat von La Rochefoucauld trifft den Kern Kollegialer Beratung. Bei Kollegialer Beratung bilden wir Kolleginnen und Kollegen nämlich eine Gruppe, um uns gegenseitig bei unseren häufig vergleichbaren schulischen Schwierigkeiten und Konfliktlagen zu beraten und für die Herausforderungen in der Schule zu stärken.
Unsere Gruppe trifft sich regelmäßig und arbeitet nach einem festen, systematischen Ablauf, an dessen Ende eine Lösung bzw. eine "weise" Lösungsstrategie steht. Mindestens interessant, wenn nicht gar inspirierend ist, dass wegen der "versammelten Weisheit" eine Ideenvielfalt geteilt wird, aus der jede*r wählen kann, was sie*er für sich und die eigene Arbeitsweise als umsetzbar erachtet.
Besonders aufschlussreich wirkt oft der (unbefangene) Fremdblick der verschiedenen Gruppenmitglieder auf die eigenen Problemstellungen. Dieser ermöglicht in der Tat Lösungen, auf die wir selbst gar nicht gekommen wären. Wir können neue Denkweisen integrieren, müssen es aber nicht. Wenn wir uns in der Gruppe gegenseitig diese Freiheit zugestehen, können wir gegenseitig von unseren Erfahrungen und unserer Kreativität profitieren. Wir kommen nach und nach zu einem größeren Handlungsrepertoire, aus dem wir für viele knifflige Situationen in der Schule schöpfen können.
Dank des in der Regel von Treffen zu Treffen wachsenden Vertrauens zueinander gewinnen wir zudem einen "Kraftort", der uns für den Schulalltag stärkt.
Im strukturierten Ablauf die Weisheit aller nutzen
Es gibt verschiedene Verfahren Kollegialer Beratung, von denen einige auf einem ähnlich strukturierten drei-teiligen Ablauf basieren, nämlich:
- Auf ein Anliegen einigen
- Prozess der Beratung auf kollegialer Ebene
- Prozessreflexion
Diesen Ablauf empfehle ich, denn er ist nicht schwer zu erlernen und wird von Mal zu Mal einfacher zu moderieren. Zu Beginn des Treffens wird bestimmt, wer aus der Gruppe moderiert.
1. Diejenigen Gruppenmitglieder, die ein Problem, einen Konflikt oder eine Schwierigkeit besprechen möchten, tragen vor. Die Gruppe entscheidet, welches Anliegen beraten werden soll.
2. Der eigentliche Beratungsprozess, Kernstück der Methode, kann nun beginnen:
Das Anliegen wird von dem*der Akteur*in genauer vorstellt und aufgrund von Rückfragen aus der Gruppe geschärft. Auf dieser Basis entwickelt die Gruppe das Schlüsselthema. Häufiger ist das ein Problem hinter dem Problem, ein sog. "blinder Fleck". Darunter versteht man das, was dem*der Akteur*in selbst bisher verborgen geblieben ist. Ideen und Lösungsvorschläge ("Weisheiten", "Steine der Weisen") werden gesammelt. Während dieser Zeit hört der*die Akteur*in nur zu, eine Bewertung der Beiträge aus der Gruppe ist in dieser Phase noch nicht erwünscht. Vielmehr reflektiert der*die Akteur*in in aller Ruhe für sich die Fremdwahrnehmungen und Lösungsangebote, ehe er*sie dann zurückmeldet, wovon er*sie sich persönlich angesprochen fühlt. Darauf aufbauend können alle gemeinsam eine Lösungsstrategie erarbeiten. Diese wird gegebenenfalls für den*die Akteur*in visualisiert oder im Rollenspiel erprobt.
3. Abschließend reflektiert die Gruppe ihren Gruppenprozess (Wie haben wir zusammengearbeitet, gab es Konflikte?) sowie das Ergebnis (Wie zufrieden bin ich damit?).
Für alle Prozessteile sind feste Redezeiten und - am wichtigsten - Vertraulichkeit von der Gruppe vereinbart worden. Es liegt auf der Hand, dass wir, wenn wir uns mit schulischen Schwierigkeiten im Vertrauen an andere wenden, auf deren absolute Verschwiegenheit und Empathie zählen können. Genau darauf dürfen sie sich auch bei uns fest verlassen.
Wie starten Sie mit Kollegialer Beratung?
Wenn Sie die Informationen zu Sinn, Zweck und Ablauf Kollegialer Beratung weitergeben, kann das ein guter erster Schritt sein. Vielleicht initiieren Sie dann eine Gruppe, lassen sich zu Beginn professionell anleiten oder Sie fangen einfach gemeinsam an! Danach wissen Sie bestimmt, ob Kollegiale Beratung etwas für Sie ist.